Fokus: Alltagsrassismus

Alltagsrassismus ist kein Randphänomen, sondern prägt das Leben vieler Menschen. Doch bei vielen Menschen herrscht oftmals Unsicherheit: Wo fängt Rassismus überhaupt an?

Wir erklären, wie sich Rassismus im Alltag bemerkbar macht, warum eine Verharmlosung nur alles schlimmer macht und wie sich vermeintlich gutgemeinte Aussagen auf die Lebensrealität Betroffener auswirken.

Woher kommst du wirklich?

Diese Frage haben viele unter uns sicherlich schon mal einer anderen Person gestellt – oder sie selbst gestellt bekommen. Für viele Menschen zeigt diese Frage Interesse, sie möchten mehr über das Gegenüber erfahren, sie möchten wissen, wo die „Wurzeln“ des_der Anderen liegen, wo sie die andere Person „einordnen“ können.

Manch eine_r mag jedoch schon die Erfahrung gemacht haben,  dass diese Frage nicht unbedingt positiv aufgenommen wird. Denn sie macht die gefragte Person fremd, sie bekommt das Gefühl, sie gehöre nicht hier her, sie könne ja gar nicht von hier sein, denn sie sieht so anders aus!

In der Regel sind diese Fragen nicht böse gemeint und man könnte meinen, sie seien harmlos, vielleicht etwas lästig für die Gefragten. Was sie jedoch in den Augen Betroffener ausdrücken, ist ein Verständnis von Zugehörigkeit, welches Deutsch-Sein auf das Aussehen oder auf einen Namen reduziert.  Ob die gefragte Person jedoch in Deutschland geboren wurde, einen deutschen Pass hat und sich hier zuhause fühlt, wird mit dieser Frage oft übersehen. Zugehörigkeit basiert mit einem Mal, wenn auch meistens unbewusst, auf einem Weltbild, welches  gewisse Menschen ausschließt.

Wille vs. Wirkung

Die wenigstens Menschen wollen rassistisch sein. Und die wenigsten Menschen würden sich selbst als rassistisch bezeichnen. Und doch - Rassismus ist ein Problem, das uns alle betrifft. Zurück zu der Frage nach der Herkunft: Wer diese Frage schon einmal selbst gestellt hat, mag erstaunt sein, schließlich wollte man in den meisten Fällen niemanden ausgrenzen.

Trotzdem wirkt diese Frage auf viele von Rassismus betroffene Menschen verletzend, und diese Verletzung muss ernstgenommen werden. Wenn man jemandem auf den Fuß tritt, so tut das weh, unabhängig davon, ob man es mit oder ohne Absicht getan hat. Gleiches gilt für rassistische Aussagen, auch wenn sie vermeintlich positiv gemeint sind. „Du kannst aber gut Deutsch“ ist oft als Kompliment gemeint, wird aber genauso oft nicht als solches verstanden., Die Aussage zeigt für viele Betroffene lediglich, dass sie nicht als Teil der deutschen Gesellschaft gesehen werden.

Der strukturelle Einzelfall

Die Frage nach der Herkunft, den Wurzeln, der Heimat ist nur ein kleines Symptom dessen, was sich auf alle Bereiche des Lebens von Menschen mit Rassismuserfahrungen auswirkt. Für die betroffene Person ist eine rassistische Ausgrenzungserfahrung – wie zum Beispiel die oben beschriebene Frage - individuell, alltäglich. Jedoch wird sie von anderen betroffenen Menschen geteilt: aus einem individuellen Einzelfall wird ein kollektives Erlebnis. Solche Erfahrungen werden unter dem Begriff Alltagsrassismus zusammengefasst. Alltagsrassismus ist für viele betroffene Menschen kräftezehrend, eben weil er alltäglich ist und man immer wieder mit ihm konfrontiert wird.

Die Grenzen zwischen Alltags- und strukturellem Rassismus verschwimmen oft. Denn rassistische Bilder in den Köpfen der Menschen wirken sich auch auf die Strukturen unserer Gesellschaft aus. Ob bei der Wohnungssuche, auf dem Arbeitsmarkt, im Bildungssystem oder bei gesellschaftlicher Teilhabe: Betroffene Menschen erleben immer wieder Ausgrenzung und sehen sich immer wieder Stereotypisierungen ausgesetzt.

Kurzgesagt: Menschen schaffen Alltag, Alltag schafft Strukturen, und Strukturen können nicht losgelöst von Menschen betrachtet werden.